Wenn an diesem Wochenende die Fußball-Bundesliga in die 47. Saison startet, dann hat das mit Pflege zunächst wenig zu tun. Sollte man jedenfalls meinen. Auf den zweiten Blick ergeben sich jedoch Zusammenhänge zwischen Leistungssport und Gesundheitsdienstleistungen, die Auswirkungen auf und neben dem Platz haben.
Vor wenigen Wochen veröffentlichte das Fußball-Fanmagazin 11 Freunde ein Interview mit Thomas Cichon, damals beim VfL Osnabrück unter Vertrag. Nun mag Osnabrück nicht repräsentativ für Spitzenfußball sein, Cichon ist als Vorstandsmitglied der Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV) sicherlich einer der prominenteren Interessenvertreter seines Berufsstandes. Auf die Frage, ob Schmerzen zum Berufsrisiko eines Profifußballers dazugehörten, antwortete er: "Auf jeden Fall. Als Profifußballer hat man 15 Jahre, in denen man den Beruf ausüben kann. In dieser Zeit muss man so viel verdienen, wie andere in 30 Jahren oder länger. Dementsprechend höher ist der Verschleiß – wir müssen unseren Körper schinden."
Diese Aussage hat sowohl eine soziologische wie auch eine gesundheitliche Komponente. Bette und Schimank, zwei Bielefelder Sportsoziologen, verweisen in ihrem Buch "Die Dopingfalle" mehrfach auf das Phänomen, dass sich Sportlerbiographien schon sehr früh so monokausal auf den Leistungssport konzentrieren, dass andere Einflüsse und Lebensschwerpunkte gemieden und ignoriert werden. Wozu dies führt, macht Cichons Aussage zur Anwendung von Voltaren deutlich: "Es gibt Kollegen, die vor Spielen die Dosis erhöhen, um beim Spiel weitgehend schmerzfrei zu sein. Drei Tabletten am Tag vor dem Match, zwei am Spieltag. Das ist in der Bundesliga gang und gäbe. Auf diese Weise ist ein Spieler dazu in der Lage, Operationen in die Sommerpause zu verschieben, um der Mannschaft in der Saison bei wichtigen Spielen zur Verfügung zu stehen."
Spätenstens hier muss Pflege hellhörig werden. Zweifelsfrei gilt der Fußball als Bastion harter Männer, die bei Schmerzen auf die Zähne beißen, und genau dafür wird der Sportler durch den Respekt des Publikums belohnt. Aber darf die Leidensbereitschaft moderner Gladiatoren so weit gehen, dass gesundheitliche Warnzeichen über lange Zeit ignoriert werden, um die Chancen auf eine Nominierung nicht zu gefährden?
Beim Eröffnungsspiel VfL Wolfsburg-VfB Stuttgart brach sich der Stuttgarter Rechtsverteidiger Christian Träsch die Hand und musste das Spielfeld verlassen. Bundestrainer Jogi Löw hatte vor der Asienreise in der Sommerpause angekündigt, nur Spieler mitzunehmen, die Aussicht auf eine Nominierung für die WM 2010 in Südafrika hätten - und Träsch gab gegen die Vereinigten Arabischen Emirate sein Debüt im Nationaldress. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich der junge Spieler die Zeit zur Rekonvaleszenz gönnen kann, die nach einem Handbruch notwendig wäre. Nicht nur innerhalb des Vereins, sondern auch in der Nationalmannschaft würde dies seine Aussichten auf regelmäßige Einsätze schmälern. Und es ist zu bezweifeln, dass ein 21jähriger das Rückgrat und das umsichtige Bewusstsein hat, auf einer nachhaltigen Gesundung zu bestehen.
Wie leicht ein junger Sportler hier in die Falle geraten kann, auf Gesundheit zu verzichten, hat nicht zuletzt Jörg Jaksche unterstrichen, der in Zusammenarbeit mit dem Spiegel viel dazu beigetragen hat, Licht in den Dopingsumpf des Radsports zu bringen. Nach seiner Erfahrung sind junge Leistungssportler flächendeckend nicht in der Lage, zu erkennen, wo legale Medikation aufhört und Doping beginnt. Vor allem jedoch gibt es keinerlei kritische Nachfragen, welche Folgen die eingenommenen Präparate haben und ob es Alternativen gibt. Eine Mischung aus Konkurrenzdruck und unkritischem Vertrauen macht eine gesunde Erholung schon zu Beginn einer Sportlerkarriere undenkbar.
Welche Langzeitfolgen eine auf diese Weise erlernte Einstellung hat, macht erneut Thomas Cichon deutlich: "Ich habe über vier Wochen mit einer Fraktur im Wadenbein gespielt. Das geht eine Zeit lang mit Schmerzmitteln, aber irgendwann muss sich jeder eingestehen, dass die Schmerzen zu groß sind."
Cichon ist heute übrigens arbeitslos, aller Leidensfähigkeit zum Trotz. Mit dem VfL Osnabrück ist er aus der zweiten Bundesliga abgestiegen, und nicht wenige Fans gaben ihm erzürnt die Mitschuld, weil er in der zweiten Halbserie fürchterlich langsam geworden sei. Das 11-Freunde-Interview macht nicht nur deutlich, weshalb, sondern unterstreicht, dass den Leistungssportlern ein umfassendes Gesundheitsbewusstsein nahegelegt werden muss, allem Konkurrenz- und Leistungsdruck zum Trotz. Ob ein ungesunder Spieler einer Mannschaft weiterhelfen kann, sei dahingestellt - dass ein ungesunder Spieler sich selbst schadet, ist bar jeden Zweifels. Gesundheitsberatung ist Domäne der Pflege, und im Leistungssport gibt es in diesem Bereich offensichtlich noch viel aufzuholen.
Link: 11 Freunde-Interview mit Thomas Cichon
Samstag, 8. August 2009
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